Die Hände zum Himmel - und dann?

14.11.14 Unknown 0 Comments



Nach dem Titel ist vor dem Titel: für die deutschen Weltmeister regnet es nach dem Pokalgewinn neben der saftigen Prämie Bambis und silberne Lorbeerblätter. Zeitgleich startet mit "Die Mannschaft" die epos-artig arrangierte Dokumentation der Ereignisse in Brasilien. Kurzum: Die Weltmeister-Promo-Tour fand am Brandenburger Tor definitiv nicht ihr Ende. Doch war das schon immer so? Natürlich nicht! Die Dritte Halbzeit begibt sich auf Zeitreise.

1954: "Das Wunder von Bern" - Der Film, das Musical, das Buch, das ...


Die Situation
Der 4. Juli 1954 ist nahezu jedem Deutschen ein Begriff. Der Sieg in der Schweizer Hauptstadt über die schier unbesiegbaren Ungarn war mehr als ein WM-Sieg. Es wurde zum Symbol des wiedererstarkten Landes und war die pure seelische Aufbauarbeit nach dem zweiten Weltkrieg. Der Stoff, aus dem Helden gemacht sind.

Nach dem Sieg
Dementsprechend wurde die Ankunft der Sieger frenetisch gefeiert. Im Sonderzug BR VT 08 ging es von Spiez nach München zur Pokal-Präsentation auf dem Marienplatz. Von der bayrischen Landeshauptstadt aus wurde der Triumphzug fortgesetzt. In mehreren Städten Westdeutschlands wurden Fritz Walter und Co. mit Geschenken und Glückwünschen empfangen. Medial wurde das Event vor allem in den letzten Jahren in allen erdenklichen Formen ausgeschöpft. Sei es als Buch, Film oder Musical: das Wunder von Bern ist in Deutschland so präsent wie vor 60 Jahren.

Prämien und Preise
Die Helden von Bern erhielten 2.500 D-Mark, was unter Berücksichtigung der Inflation einem heutigen Wert von circa 4.200 Euro entspricht. Dazu gab es einen Fernseher, einen Lederkoffer und einen Motorroller. Kapitän Fritz Walter war zudem der einzige Spieler, welcher 1954 das silberne Lorbeerblatt erhielt.

1974: Der Heimspiel-Sieg


Die Situation
Es war wohl der am meisten erwartete Titel seit 2014. Die Choryphäen um Kapitän Franz Beckenbauer waren wie noch keine deutsche Mannschaft zuvor so prädestiniert für den Weltmeistertitel. Der 2:1-Sieg über die Niederlande in München bescherte der Bundesrepublik den zweiten Triumph in der Geschichte.

Nach dem Sieg
Die deutsche Nationalmannschaft wurde zur "Mannschaft des Jahres" und Beckenbauer zum "Spieler des Jahres" gekürt. Gefeiert wurde in München, da es ja keinen großen Empfang geben konnte beziehungsweise musste. In den heutigen Medien ist der Sieg nicht so präsent wie "Das Wunder von Bern", dennoch werden nahezu jährlich alle deutschen Beteiligten zur damaligen Situation ausgequetscht. Durch den mangelnden "Wunder-Charakter" hat es das Turnier (noch) nicht auf die Kinoleinwände oder Musicalbühnen dieser Welt geschafft.

Prämien und Preise
Für die Heim-Sieger winkten rund 70.000 DM, heute knapp 80.000 Euro wert. Des Weiteren erhielten die Mannen um Helmut Schön einen Volkswagen Käfer Cabriolet - eine nette Steigerung gegenüber des Motorrollers. Außerdem erhielt das gesamte Team das silberne Lorbeerblatt von Bundespräsident Walter Scheel.

1990: Nur kurz über den Brenner


Die Situation
Die Lichtgestalt Franz Beckenbauer kehrte zurück und zeigte der Welt, dass er auch als Trainer genug Strahlkraft hat, um Weltmeister zu werden. Nach der tragischen Final-Niederlage 1986 gegen Argentinien war es der Kaiser himself, der das deutsche Team über den Brenner zum Sieg in Rom führte. Und das gegen, wie soll es anders sein, Argentinien.

Nach dem Sieg
Die Siger landeten wenige Tage später in Frankfurt, wo der goldene Pokal stolz der wartenden Menge entgegengereckt wurde. Das Spektakel wurde damals sogar live im Fernsehen übertragen. Heute ist vom Glanz der Sommernacht in Rom nicht mehr so viel übrig. Hier und da taucht Siegtorschütze Andreas Brehme aus der Versenkung auf und berichtet über die Vorkommnisse des 8. Juli 1990. Doch auch weitere Teamkollegen stellen sich passend zur Weltmeisterschaft den Fragen der Talkshow-Moderatoren. Doch so richtig etwas Neues erfahren wir dabei nie. Dennoch ein Highlight: die schüchtern schunkelnden Jungs mit Udo Jürgens in "Wir sind schon auf dem Brenner".


Prämien und Preise
Als Prämie erhielten die Spieler "nur" 125.000 Mark, das sind heute gute 95.000 Euro. Kein Roller, kein VW-Cabrio. Aber das konnten sie sich ja sowieso nun leisten. Kurioserweise erhielten die Gewinner von 1990 kein Silbernes Lorbeerblatt, das mag vielleicht natürlich der politischen Situation geschuldet sein. Im Wiedervereinigungsprozess wird selbst der Fußball zur Nebensache, wenn sie auch trotzdem die schönste bleibt.

Heute ist alles besser - oder anders


Mit 300.000 Euro plus 20.000 pro Quali-Spiel war es für die deutschen Spieler wohl das lukrativste Turnier aller Zeiten. Auch mit Blick auf den medialen Hype ist der Sieg in Rio höchstens mit dem "Wunder von Bern" gleichzusetzen, zumal der Titelgewinn in der Schweiz auch politisch eine weitaus größere Tragweite für das Land besaß. Über mangelnde mediale Präsenz müssen sich Jogis Jungs jedoch nicht beschweren. Auf Facebook, Twitter, Instagram und Youtube prasseln die Trailer zum Film, Bilder von der Verleihung von Lorbeerblatt und Bambi und weitere Erinnerungsstücke dieses Sommers auf den Nutzer ein. Ob das nun sein muss, darüber lässt sich streiten. Doch Fakt ist: das Publikum kann davon nicht genug bekommen. Und auch dieser Hype wird abnehmen, spätestens 2016 in Frankreich.

Denn dann heißt es wieder, wie immer im Fußball: Nach dem Titel ist vor dem Titel.

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